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41/2022
 

Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte.

1. Mose 8,22

Landwirtschaftliche Arbeit aber ist vielen von uns inzwischen fremd geworden. Hast du chon einmal auf einem Erntewagen gesessen? In meiner Jugendzeit hatten meine Eltern eine kleine Landwirtschaft. Es gab zwar schon Mähmaschinen, aber unsere kleinen Flächen mähte der Vater mit der Sense. Meine Mutter und ich bückten uns hinter ihm, rafften die Halme zu Portionen, die mittels eines Strohseils zu Garben gebunden wurden. Die Garben wurden zu sogenannten Stiegen zusammengestellt, immer 20 zu einem Langhaus. Abends tat der Rücken weh, und in der Haut der Hände steckte so mancher Distelstachel. Nach etwa
zehn Tagen waren Halme und Ähren von der Augustsonne getrocknet. Hatte es geregnet, musste abgewartet werden. Schließlich aber fuhr der Vater mit einem von Pferden gezogenen Leiterwagen an den Stiegen entlang. Mit zweizinkigen Gabeln wurden die Garben auf den Leiterwagen hochgereicht und dort kunstvoll gestapelt. Ich war stolz, wenn man mir diese Arbeit zutraute. Ein vollgeladener Erntewagen war ein riesiges Ungetüm, das bei Bewegung gefährlich schwankte. Aber es war ein wundervolles Gefühl, obenauf zu sitzen. Danach kamen das Abladen, das Aufbauen einer Kornmiete und schließlich das Dreschen (in
der Nacht, weil nur da genügend elektrischer Strom vorhanden war). Am Dreschkasten hingen Säcke, die sich langsam mit den Getreidekörnern füllten. Wenn wir dann das Brot aßen, dachten wir an die schwere Arbeit auf dem Feld, die nötig gewesen war, um das Getreide zu gewinnen.

Heute leben wir in einer arbeitsteiligen Welt. Das Brot kaufen wir beim Bäcker oder im Supermarkt. In der Zeitung lesen wir, dass es eine gute Ernte gab. Wir nehmen es gedankenlos zur Kenntnis. Eine direkte Verbindung zur Ernte haben wir nicht mehr. Auch das Gespür für Erntedank ist vielen von uns verloren gegangen. Warum danken und wem denn – wir haben doch bezahlt? Doch halt, hier irren wir. Wir können die Arbeit der Erntenden bezahlen, aber nicht das Brot. Dieses ist gewachsen. Und es ist ein Wunder, dass es uns immer wieder geschenkt wird. Gott sei Dank, dass es so ist.

Heinz Wietrichowski

© Advent-Verlag Lüneburg



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